Von der Jugend
Die Jugend ist nicht ein Abschnitt des Lebens,
sie ist ein Zustand der Seele,
der in einer bestimmten Form des Willens besteht,
in einer Bereitschaft zur Phantasie,
in einer gefühlsmäßigen Kraft,
im Überwiegen des Mutes über die Zaghaftigkeit
und der Abenteuerlust über die Liebe zur Bequemlichkeit.
Man wird nicht alt wegen der einfachen Tatsache,
dass man eine bestimmte Zahl von Jahren gelebt hat,
sondern nur, wenn man sein eigenes Ideal aufgibt.
Wie die Jahre ihre Spuren auf den Körper zeichnen,
so zeichnet der Verzicht auf die Begeisterung sie auf die Seele.
Jung sein bedeutet, mit sechzig oder siebzig Jahren
die Liebe zum Wunderbahren zu bewahren,
das Erstaunen für die leuchtenden Dinge
und die strahlenden Gedanken,
den kühnen Glauben, den man den Ereignissen entgegenbringt,
den unstillbaren Wunsch der Kinder für alles, was neu ist,
den Sinn für die angenehme und fröhliche Seite des Daseins.
Ihr werdet so lange jung sein,
wie Euer Herz die Botschaft der Schönheit,
der Kühnheit und des Mutes aufnehmen wird,
die Botschaft der Größe und der Stärke,
die Euch von der Welt, von einem Menschen
oder von der Unendlichkeit geschenkt werden.
Wenn alle Fasern Eures Herzens zerrissen sein werden
und wenn sich auf ihnen der Schnee des Pessimismus
und das Eis des Zynismus gehäuft haben werden,
erst dann werdet Ihr alt sein;
dann möge sich Gott Eurer Seele erbarmen.
Inschrift auf einem Stein neben einer 1000jährigen Eiche,
im Parco Giardino Sigurtà, ein paar Kilometer südlich von Peschiera del Garda.
Der Text geht zurück auf Marc Aurel, römischer Kaiser 121 – 180 n. Chr.
Parco Giardino Sigurtà (Foto von Zavijavah)
https://it.wikipedia.org/wiki/Utente:Zavijavah